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US-Internetüberwachung PRISM: Die unangenehme Wahrheit, die wir schon kannten

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Die großflächige Datensammlung und Überwachung von Internetnutzern durch die US-Regierung konfrontiert uns mit einer verdrängten Wahrheit: Für die breite Masse der digitalen Bevölkerung existiert im Netz keine Privatsphäre.

prismDie US-Datensammlung PRISM (siehe Linkwertig) zieht weite Kreise. Immer neue Details der vom Nachrichtendienst NSA durchgeführten Internetüberwachung kommen ans Licht, angetrieben durch unaufhörliche Recherche- und Enthüllungsarbeit der Zeitungen Washington Post, New York Times und The Guardian. Mittlerweile hat sich der für die Öffentlichungmachung der Praktiken verantwortliche Whistleblower zu erkennen gegegeben und die massiven Ausmaße von PRISM unterstrichen. Zwar herrscht Unklarheit darüber, wie einfach es die an dem Überwachungsprogramm partizipierenden neun Internetfirmen (Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube, and Apple) den Behörden machen, persönliche Anwenderdaten abzurufen. Keine Zweifel bestehen aber daran, dass dies erfolgt, und zwar in einem Rahmen, der Benutzer der Dienste dieser Unternehmen zu gläsernen Bürgern macht.

Wer ist wirklich überrascht?

Doch – und das ist für mich das Schockierende an der Geschichte – überrascht bin ich von dem jetzt ans Licht kommenden Vorgehen der NSA nicht. Stattdessen entsprechen die von den Medien geschilderten Praktiken des Geheimdienstes in etwa dem von mir erwarteten Ausmaß des Behördenzugriffs auf die Userdaten der führenden Onlineservices. Meine fehlende Empörung über die Dimensionen der Internetdatensammlung zeigt mir, dass ich innerlich schon lange akzeptiert habe, dass meine bei der Nutzung einschlägiger Webangebote generierten und von mir gespeicherten Daten nicht vor der Einsicht durch Dritte sicher sind. Die jüngsten Aufdeckungen zwingen mich dazu, dieser Tatsache ins Gesicht zu blicken. Mein inneres Ich hat die totale Überwachung schon still und heimlich akzeptiert.

Ich behaupte, dass ich damit nicht der einzige bin. Nein, ich glaube, die Mehrzahl der Teilnehmer der Netzgesellschaft hat über die Jahre, vom Aufkommen der ersten Chatdienste über das Web 2.0 bis hin zur aktuellen Ära der allgegenwärtigen Cloudifizierung, einen stillen Frieden mit der Tatsache geschlossen, dass alles, was wir auf irgendeinem öffentlichen Server außerhalb unserer absoluten Kontrolle hinterlassen, im Extremfall von Dritten eingesehen werden kann. Nicht vom Nachbar und nicht von Menschen, denen man auf der Straße begegnet. Aber von Individuen, die bei den jeweiligen Firmen arbeiten, sowie von Sicherheitsbeamten und Behördenvertretern. Nach außen hin demonstrieren wir Verantwortungsbewusstsein und erklären in einem entschlossenen Ton, wie sehr wir an einem Schutz unserer persönlichen Integrität, Freiheit und unserem Recht auf Privatsphäre interessiert sind. Dabei wissen wir tief in uns eigentlich, dass wir damit eine Fassade aufrecht erhalten.

Was technisch machbar ist, wird genutzt

Worauf ich meine Behauptung basiere, dies würde für viele Menschen gelten? Über eine Milliarde Personen nutzen Facebook. Viele hundert Millionen besitzen ein Google-Konto oder telefonieren mit Skype. Über hundert Millionen legen Dateien bei Dropbox ab. US-Webangebote erreichen im Prinzip fast alle Internetnutzer, egal wo auf der Welt sie sich befinden. All diese Personen müssten die vergangenen 15 Jahre unter einem Stein gelebt haben, um nicht zu sehen, wie der US-Regierung spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September und der damit aufkeimenden allgemeinen Furcht vor Attacken jedes Mittel Recht wurde, um die innere Sicherheit des Landes aufrecht zu erhalten. Es reicht schon, einmal in die USA zu fliegen und sich am Flughafen dem Kreuzverhör der “Immigration”-Beamten zu stellen. Da bekommen selbst ehrenwerte Urlauber mitunter schweißige Hände. Alle Einreisenden sind in den Augen der USA potenzielle Terroristen, bis sie das Gegenteil beweisen. Es wäre daher schlicht naiv anzunehmen, dass die globalen, in den USA angesiedelten Kommunikationszentralen nicht im besonderen Fokus der Behörden stünden. Wenn die Server, über die internationale Schurken möglicherweise ihre Pläne schmieden, sich doch schon vor der Haustur befinden.

Am Ende beschleunigt der Kampf gegen den Terror aber nur eine Entwicklung, die ohnehin stattgefunden hätte. Das Netz erlaubt eine neue Qualität der Überwachung. Schon immer galt: Was technisch machbar ist, wird auch genutzt. Insofern ist auch der Aufruf, sich einfach von US-Angeboten fernzuhalten, wieder nur eine Fortsetzung der Privatsphären-Fassade. Gesetzesinitiativen zur Vorratsdatenspeicherung und Bestandsdatenauskunft zeigen, dass auch in Deutschland und der EU der private digitale Raum zunehmend durchleuchtet wird. Die USA befinden sich nur einige Schritte weiter voraus.

Ein Netz, in dem der durchschnittliche Bürger vor den Blicken von Regierungen und Sicherheitsinstitutionen geschützt ist, halte ich für eine Illusion. Einen solchen Zustand erreicht nur, wer viel Energie dafür aufwendet, jedes potenzielle Überwachungsrisiko auszuschalten, durch Verschlüsselungs- und Anonymisierungstools und die Abstinenz von den großen Onlineplattformen. Für die meisten Nutzer stellt beides keine Option dar. Sie haben mit sich selbst einen Deal geschlossen: Sie erhalten die Möglichkeit der komfortablen Kommunikation und Interaktion und opfern dafür ihre Privatsphäre im Web. Sie mögen dies bestreiten. Doch Handlungen sagen mehr als Worte. PRISM zwingt uns alle dazu, in den Spiegel zu schauen. /mw


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